Pioniermagazin: Die Wirkung von Satire an der Landesschule Pforta

Im Herzen ein Satiriker. Im Geiste ein Querdenker – und das zu einer Zeit als das Wort Querdenken noch nicht in Schwarz-Weiß-Rot geschrieben wurde. Die Seele jedoch war beheimatet in der Landesschule Pforta, einem gar wundersamen Ort, über den Späße zu machen ich niemals müde werden konnte. Die Spuren habe ich nun verwischt. Na und?


Beim heutigen Frühstück überkam mich die Lust, noch einmal die Erinnerung an die Zeiten des Pioniermagazins aufleben zu lassen. Kaum einer wird sich daran erinnern, die Stunden jenes fast schon ketzerischen Magazins sind längst abgezählt – und dennoch: zu seiner Zeit war das anonym als Aushang auftretende Magazin vielleicht eines der konstruktivsten alltäglichen Provokateure.

Das Pioniermagazin hat in unregelmäßigen Abständen verschiedene tagesaktuelle Entscheidungen der Schulleitung (genannt Schulregierung) kommentiert oder parodiert. Es soll an dieser Stelle jedoch nicht Sinn der Sache sein, die damaligen politischen Entscheidungen erneut hervorzuheben. Viel interessanter ist die Beobachtung, dass mit dieser Satire durchaus etwas bewirkt wurde.

Nicht jeder hat die Schriften so verstanden, wie sie gemeint waren. Nicht jeder konnte die Ironie herauslesen. Einige verliehen ihrer Empörung über die Artikel sogar lautstark Ausdruck. Dies jedoch befeuerte so viele Diskussionen, die zu belauschen mir stets große Freude bereitet haben. Das größte Bollwerk der Vernunft ist und bleibt die Kommunikation. Freilich war aus eben diesem Argument auch die Aufforderung an das Pioniermagazin geschmiedet, aus seinem anonymen Schutz herauszutreten und offen zu kommunizieren. Einer Aufforderung jedoch die ich und wir (zu späterer Zeit teilte ich die Redaktion mit einer weiteren sehr begabten Autorin) gar nicht nachkommen mussten.

Zwei Gründe ließen uns im Anonymen Versteck verweilen. Der erste war, dass wir unsere Aussagen nicht auf uns projizieren lassen wollten, sondern auf die Schule. Mit Erfolg! Die Diskussionen um die kritisierten Themen waren stets sachgebunden und unabhängig vom Ruf von uns als Verfasser. (Auf unglückliche Weise hatte ich zu jener Zeit noch den Ruf eines anarchieanstrebenden Möchtegernrevoluzzers inne. Hätte ich unter meinem tatsächlichen Namen veröffentlicht… beispielsweise als schmuel.net bestünde der Grund zu der Annahme, dass man die herrlichen Satiren als tatsächliche politische Pamphlete abgetan hätte, anstatt sich daran zu amüsieren und deren Inhalt zu diskutieren)

Ein weiterer Grund – und ich lasse mich nicht dazu breitschlagen auszusagen, welcher der Gründe dominierte – war die Aufregung, das unkalkulierbare Risiko, entdeckt zu werden. Die fast schon in Paranoia mündeten, jedes Mal, wenn ich zu später Stunde – nicht selten auch nachts – auszog, um im verborgenen meine Schriften an den Aushang zu hängen. Das Papier unter dem Mantel versteckt, mich nach allen Seiten umsehend und vor jedem Geräusch zurückschreckend, um dann in einem ungesehenen Augenblick und in von Aufregung getriebener Hast eine Pin-Nadel hervorzuziehen und den Artikel zu befestigen.

Statistik darüber, wie lang eine jeweilige Ausgabe am Aushang überlebt hat

In den folgenden Tagen machte ich immer ein Spiel daraus und zählte die Tage (Manchmal waren es nur wenige Stunden) die es brauchte, bis ein vor Wut schäumender Lehrer die Satiren wieder vom Aushang entfernte.. es war ein herrliches Gefühl! Jedoch war es auch oft ein Ärgernis, dass durch das gewaltsame Entfernen unserer Schriften den Schülern die Lektüre verwehrt wurde. Deshalb habe ich eine – inzwischen wieder geleerte – Webpräsenz pioniermagazin.wordpress.com ins Leben – oder eher ins Netz – gerufen, auf der alle Artikel versammelt sind.

Nach heutiger Einschätzung finden sich allerdings derart viele Übertreibungen und fast schon Beleidigungen in den Texten, dass ich es in meiner Verantwortung sehe, die Schriften aus dem Netz zu entfernen. Die Diskussionen sind längst geführt und die meisten Streite sind geschlichtet. Frieden kehrt wieder in die Mauern der Landesschule.

Frieden – um welchen Preis?

Mein Verfahren war von Erfolg gekrönt. Provokation und zielgenaue Satire haben nachhaltig das Leben in Schulpforta verändert. Haben Sinnlose Sanktionsmaßnahmen abgewehrt, haben den Disziplinarausschuss am Leben gehalten und haben – was vielleicht am wichtigsten ist – dem kundigen Leser so machen Lacher vermacht. Ich bin stark davon ausgegangen, dass andere Querulanten in diese Fußstapfen treten würden, sich ebenfalls lautstark und anonym empören oder zumindest zum Empören einladen.

Stattdessen ebbte der Diskurs ab. Die Zeit der Provokation war vorbei und wurde abgelöst von… bitterem Schweigen. Wie ich durch meine Arbeit bei der Stiftung Schulpforta in mehreren Schülergesprächen erfahren habe, gibt es nach wie vor Kritikpunkte. Tagesaktuelle Entscheidungen, die hingenommen werden – oder gar verschwiegen – sind nach wie vor keine Seltenheit. Ich kann den Schülern nur mit den weltbekannten Worten von Stéphane Hessel zurufen: “Empört Euch!” Nehmt nicht alle Entscheidungen hin. Provokation ist nicht der einzige Weg, aber ein nachweislich funktionierender.

Setzt euch einer Gefahr aus und steht für eure Sache ein – welche auch immer das sein mag! Auflösung des Handyverbotes im Refektorium, Legalisierung der Kartenspiele am Boot, Wiedereinführung des Milchbrötchen Mittwochs* und all die weiteren unendlich großen Kleinigkeiten! Seit das Pioniermagazin schweigt, kehrte wieder Frieden in die Mauern der Landesschule. Frieden – um welchen Preis?


*An die Exer, die diesen Text hier lesen: Ja, der Milchbrötchen Mittwoch ist tot. Und allen ist es egal. Et erit in pace memoria eius.

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