Die Transparenzfrage: Welche Aufgabe hat die Demokratie in Schulen?

Schulpforte. Die Wahl der Schülersprecher des Schuljahres 2020/2021 kann einen durchaus zum Staunen bringen. Zum ersten Mal seit langer Zeit wird ein Zehntklässler in das Amt des Schülersprechers gewählt. Grund genug sich zu fragen, welche Aufgaben und welche Kompetenzen den neuen Vertretern zuteilwerden.

Ein Kommentar des ehemaligen Schülersprechers Samuel Winkel

Die Forderungen nach mehr Demokratie und mehr Transparenz sind in den letzten Jahren regelrecht zu einem Dauerbrenner geworden. – Wirksame Konzepte zur Umsetzung dieser Ziele gibt es auch immer wieder im identischen Maß: Das fragwürdige Konzept der direkten Demokratie zum Beispiel, welches allein schon mangels zu treffender Entscheidungen obsolet ist – oder etwa die Idee, die Machtverhältnisse der sogenannten Gesamtkonferenz zu verschieben.

Das wird ein tolles Szenario geben, in dem sich die Eltern und Lehrer darauf einigen ihre Mandate abzugeben, bzw ihre Macht massiv zu verringern. Vielleicht ist es sinnvoll zu überlegen, das Problem bei der Wurzel anzugehen, denn Schulen sind keine demokratischen Einrichtungen. Die Entscheidungsgewalt der Schüler ist schon aufgrund der Struktur einer solchen deutschen Bildungseinrichtung massiv eingeschränkt: Man kann nicht entscheiden, wann und mit wem man welchen Unterricht hat – das entscheidet die Schulleitung. Man kann nicht entscheiden, wann und wie lang man Silentium hat – das entscheidet die Schulleitung.

Die Schulleitung aber ist nicht demokratisch legitimiert. Im entferntesten Sinne ließe sich argumentieren, dass die Schulleitung durch die gewählte Landesregierung eingesetzt bzw bestätigt wird und daher durchaus eine demokratische Berechtigung hätte. Unabhängig davon, dass sich diese Argumentation mit Leichtigkeit zerstören lässt, gilt jedoch mindestens zu bemerken, dass diese Legitimation widerum auch nicht von den Schülern ausgeht, sondern von (im Falle der Landesschule vielleicht ca 50-60%) der Eltern.

Entscheidungen, die jeder Schüler treffen muss sind die folgenden: Was soll ich essen? Wie spicke ich bei der nächsten Klassenarbeit? Wo verstecke ich meinen Alkohol? Für diese Entscheidungen braucht es aber keinen Repräsentanten – allenfalls braucht es einen geschickten Fürsprecher im entsprechenden Disziplinarausschuss.

 Le roi est mort, vive le roi

Viele ehemalige Schülersprecher bestätigten mir, was ich auch am eigenen Leib erfahren habe: Es braucht keinen Schülersprecher im demokratischen Sinne. Die Position des Schülersprechers ist hauptsächlich symbolischer Natur. Wichtige Kompetenzen, die man als solcher Repräsentant mitbringen sollte, sind eventuell Charisma, hauptsächlich die Fähigkeit, diversen Dozenten eine Flasche Wein oder einen Präsentkorb zu überreichen; zudem eine gewisse Kompetenz, zwei mal im Jahr eine mehr oder weniger bedeutsame Rede zu halten.

Der Schülersprecher ist eine Marionette, ein Maskotchen, ein Symbol – und muss bereit sein, diese Rolle voll auszuspielen. Muss sich erheben beim Saufgelage und anstoßen, muss reden und handeln als Vorbild und muss verschweigen, wie wenig er bewegen kann.

Denn die eigentliche Macht an der Schule liegt nicht beim Schülersprecher, sondern im Kollegium, in Arbeitsgruppen, im Rektorflur, in geheimen Gremien, die dann als Schülerschaft auftreten und entscheiden – ohne dass ein Schülersprecher je etwas davon erfahren hätte. So entstehen Regeln wie beispielsweise die Alkohol-Prämissen – scheinbar demokratisch legitimiert; faktisch aber von oben inszeniert.

Die Beispiele stammen gewiss noch aus meiner Schulzeit und man mag behaupten, Gras sei darüber gewachsen. Doch ist es kein Geheimnis, dass solche Vorgehensweisen auch zu heutiger Zeit keine Seltenheit sind. Als Schülersprecher ist man faktisch entmachtet. Man lernt schnell, dass die Aufgabe nicht darin besteht, die Interessen der Schülerschaft dem Rektor zu vermitteln – sondern die Interessen des Rektors der Schülerschaft.

Die Demokratie ist nicht in Gefahr

Bei all dem Pessimismus könnte man die Sorge äußern, die Demokratie sei in Gefahr. Genauere Betrachtungen offenbaren aber: Nicht die Demokratie ist in Gefahr, sondern die Demokratie ist die Gefahr! Das Einberufen von Gremien und Arbeitsgruppen, das Wählen und Einsetzen von Vertretern in Konferenzen schafft überhaupt erst die Grundlage dafür, dass am Ende keiner mehr weiß, wer was behauptet hat.

Deshalb lautet die einzige Forderung, welche den Schulalltag wieder ins Lot bringen kann: weniger Demokratie und weniger Mitbestimmung für alle Schüler! Wie konnte es nur so weit kommen, dass der Versuch unternommen wird, altehrwürdige Traditionen, wie das Koma-Saufen in der neunten Klasse oder die Analkette beim Vorschwoof überhaupt auf demokratischen Wege zu verteidigen? Die Schule muss das Boot verbieten lassen; die Schule kann den Vorschwoof, das Duschen usw nicht erlauben.

Alles, was euch Schülern wichtig ist, müsst ihr im Verborgenen machen. Die Demokratie ist ein Nebelschleier, der die Entscheidungsträger versteckt und die verbotenen Traditionen offenlegt. Wie Zeitzeugen berichten, konnte man in der wundersamen Ära der Nazi- und später SED-Diktatur noch Neunerbälger bei Starkregen auspeitschen, während sie durch den Schlamm den Knabenberg hinauf gekrochen sind. Heute, zu Zeiten der “ehrwürdigen” Demokratie, denunzieren Schüler einander für jeden Tropfen Wasser, der sich beim Laurentiatanz aus der Flasche eines 12ers verirrt haben mag.

Die Privilegien der älteren Schüler gegenüber den Jüngeren und die Traditionen wie Duschen, Taufen, Schwoofen zeugen von einer Zeit vor unserer heutigen Gesellschaft und sind unmöglich mit den geforderten Idealen einer transparenten Demokratie vereinbar. Ob das den Wählerinnen und Wählern jedoch klar ist, bleibt ein Rätsel.

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