Die Mathematik, ein Zufluchtsort der Logik in dieser chaotischen Welt, bietet viele Faszinationen. Mich persönlich beeindrucken hierbei zumeist die verschiedenen Rätsel, welche – vom Menschen erdacht – meist erst nach Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten zu einer Lösung finden. Besonders beeindruckend und bekannt dürfte der 1995 bewiesene letzte Satz von Fermat sein. Hingegen ungelöst – und kaum weniger beeindruckend – ist bislang das 3n+1 Rätsel.
Worin besteht die Faszination dieser mathematischen Spielereien? Ungelöste Probleme in der Mathematik haben häufig den Ruf, anspruchsvoll und herausfordernd zu sein. Allein der Aufbau ist schon schwer verständlich. Bei der Betrachtung dieser Rätsel oder Probleme verzweifelt man als Laie nicht selten schon an der Aufgabenstellung. Ein Interesse an der Auflösung des Problems ist deshalb meist gering. Bei diesem Problem aber ist es anders: Man kann die Zahlenfolgen recht leicht im Kopf nachvollziehen – sich das Hirn wundrechnen – und hinterher nicht glauben, dass es auf der gesamten Welt keinen einzigen Beweis für die Problem-Annahme gibt.
Der Algorithmus des Problems lautet wie folgt
- Man wähle eine natürliche Zahl n>0
- wenn n eine gerade Zahl ist, dann dividiert man sie mit 2 und erhält ein neues n
- wenn n eine ungerade Zahl ist, multipliziert man sie mit 3 und addiert daraufhin 1 und erhält daraus ein neues n
Für dieses neue n prüft man anschließend wieder, ob es sich um eine gerade Zahl handelt und verfährt entsprechend. Beispielhaft sei hier einmal die Zahlenfolge für 315 aufgeführt:
315, 946, 473, 1420, 710, 355, 1066, 533, 1600, 800, 400, 200, 100, 50, 25, 76, 38, 19, 58, 29, 88, 44, 22, 11, 34, 17, 52, 26, 13, 40, 20, 10, 5, 16, 8, 4, 2, 1, 4, …
Die Vermutung lautet: aus jeder Zahl n>0 wird irgendwann ein nachfolgendes n=4 entstehen. Oder anders ausgedrückt: Egal mit welcher Zahl man startet, man wird immer in der Zahlenfolge 4, 2, 1, 4, 2, 1, 4, 2, 1 enden.
So absurd einfach der Versuchsaufbau ist, so unlösbar scheint er zu sein. Das Problem wurde erstmals durch den Mathematiker Lothar Collatz im Jahr 1937 beschrieben. Seither gibt es in Kreisen der Mathematiker keine Lösung. Viel weniger als das: es gibt sogar großen Unmut. Mathematiker Paul Erdős soll es als “absolut hoffnungslos” bezeichnet haben – und Richard Guy, ein bekannter Mathematiker und Freund von John Horton Conway warnte vor dem Problem mit den Worten: “Do not try to solve this Problem” (Versuche nicht, dieses Problem zu lösen) – Es ist, wie es aussieht, aussichtslos.
600 Dollar, 1000 Pfund und ewige Dankbarkeit
Es ist oft schwer, an komplexe mathematische Rätsel ein Preisschild anzubringen. Besonders dann, wenn man sich wie ich mit der Materie eigentlich gar nicht auskennt. Ich für meinen Teil hätte jedenfalls des Rätsels Lösung für wesentlich begehrter gehalten als die dafür ausgelobten Preise. Zumal dem glücklichen Finder der Lösung aller Wahrscheinlichkeit nach auch nur die 1000 der Times zustehen werden. Denn die Gönner der 600 Dollar (Coxeter und Erdős) sind bereits verstorben.
Was aber bleiben wird, ist die ewige Dankbarkeit der Nachwelt. Oder zumindest des kleinen Teils der Nachwelt, die das Problem und dessen Phänomen kennen. Wer auch immer die Aufgabe lösen kann, wird auf einer Stufe mit Andrew Wiles stehen, dem Mann der den letzten Satz von Fermat bewiesen hat. Er wird auch jemand sein, den man wie Andrew Wiles erst googeln muss, dessen Verdienste für Laien unklar sind und der als “irgendwie recht schlau” eingestuft werden wird. Aber diese Person wird ein Problem gelöst haben, welches die gesamte Vorwelt als unlösbar bezeichnet hat.
Bis dahin: Freude an der Unzulänglichkeit
Die Faszination an diesem großen Problem, dem 3n+1 Rätsel, besteht – genau genommen – auch irgendwo in der Unzulänglichkeit der Mathematiker. Es ist die Faszination des unfassbaren, die Faszination, die die Menschheit einst auf die Weltmeere in die Fremde getrieben hat, treibt die Menschheit – mindestens die Mathematiker – in ihre Gedanken und in die Beweisführungen. Es ist dieselbe Ungewissheit, dieselbe Pionierarbeit. Der Seemann von gestern ist in gewisser Weise der Mathematiker von heute. Mir bleibt nichts, als am Hafen auf das weite Meer der Unwissenheit zu schauen, mich am Kauderwelsch der Seefahrer zu erfreuen und mich zu fragen, welche verborgenen Schätze auf der anderen Seite dieses Meeres wohl liegen mögen.